Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik –
nur noch ein Nischenthema?
In seinem Rundbrief vom November 2025 gibt Stephan Reiß-Schmidt, Sprecher der Initiative Bodenrecht, seine Einschätzung zur wohnungs- und bodenpolitischen Lage:
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen eskaliert und hat längst auch Klein- und
Mittelstädte außerhalb der Großstadtregionen erreicht. Mittlerweile müssen auch Haushalte mit mittlerem Einkommen für eine angemessene Mietwohnung weit mehr als ein Drittel ihres Haushaltseinkommens kalkulieren. Eine Eigentumswohnung kann in Großstadtregionen nur noch finanzieren, wer (etwa Dank einer Erbschaft) ein Eigenkapital im mittleren sechsstelligen Bereich vorweisen kann. Die seit 2008 exorbitant gestiegenen Bodenpreise und der nach wie vor zur Spekulation einladende, intransparente Immobilienmarkt sind nach wie vor eine wesentliche Ursache der Wohnungskrise – neben stark gestiegenen Zinsen und Baupreisen. Gleichwohl erscheint in der bundespolitischen Arena gemeinwohlorientierte Bodenpolitik als Nischenthema, allenfalls nice to have.
I. Beschleunigung, Deregulierung und Digitalisierung statt Bodenwende?
Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD ist bodenpolitisch noch weniger
ambitioniert als die Ampelkoalition. Deren mehr als klägliche bodenpolitische
Halbzeitbilanz hatte das BÜNDNIS BODENWENDE Ende 2023 veröffentlicht.
Im aktuellen Koalitionsvertrag finden sich im Kapitel „Bauen und Wohnen“ nur noch bodenpolitische Spurenelemente: „[…] wird das Vorkaufsrecht für
Kommunen in Milieuschutzgebieten und bei Schrottimmobilien entsprechend gestärkt, der
preislimitierte Vorkauf für solche Immobilien vereinfacht und die Umgehung von
kommunalen Vorkaufsrechten bei Share Deals verhindert.“ (Zeile 719-721) Alles übrigens
Vorhaben schon der Ampelkoalition und kein Einstieg in eine gemeinwohlorientierte
Bodenwende, sondern Reparatur von Defiziten der Vergangenheit. Ohne eine andere
Bodenpolitik lassen sich indes weder Wohnungskrise noch Infrastrukturertüchtigung,
Klimaschutz und Klimaanpassung bewältigen. Stattdessen werden Planungs- und
Genehmigungsbeschleunigung und Digitalisierung als wohnungspolitische Zauberstäbe
geschwungen. Das gerade verabschiedete „Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung“ verspricht mit den praktisch
unbegrenzten Abweichungsmöglichkeiten vom Städtebaurecht durch § 246e BauGB („Bau-Turbo“) „gemeinsam schneller zu mehr Wohnraum“ zu kommen. Als ob dies angesichts eines immer noch hohen sechsstelligen Bauüberhangs durch den Abbau demokratischer und rechtsstaatlicher Planungsverfahren und sozial-ökologischer
Qualitätsstandards erreicht werden könnte. Die Kommunen sollen nun – ohne erweiterte
bodenrechtliche Handlungspielräume – innerhalb von maximal vier Monaten (inklusive
Öffentlichkeitsbeteiligung) die Konditionen für eine kommunale Zustimmung zu Bau-
Turbo-Vorhaben mit den Vorhabenträger*innen aushandeln.
Statt einer Stärkung des Wohls der Allgemeinheit beschert der § 246e BauGB schließlich
denjenigen ein Milliardengeschenk, denen Grundstücke im Außenbereich gehören, „die im
räumlichen Zusammenhang mit Flächen stehen, die nach § 30 Absatz 1, Absatz 2 oder § 34 zu beurteilen sind.“ Denn diese Grundstücke wurden – soweit sie bislang im
Flächennutzungsplan nicht als Wohnbauflächen dargestellt sind – durch den Willen des
Gesetzgebers über Nacht von Ackerland zu Bauerwartungsland und damit um einige Tausend Prozent wertvoller, ohne jede Gemeinwohlbindung. Das ist nicht nur
bodenpolitisch, sondern auch verteilungspolitisch eine groteske Verkehrung von
Gerechtigkeitsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Den Akteuren der Bundespolitik fehlt (auch im Vergleich zu den beiden letzten Legislaturperioden) immer mehr das Bewusstsein für die Relevanz der noch immer offenen Bodenfrage. Den daraus resultierenden und bis heute unerledigten Handlungsauftrag für den Gesetzgeber hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschlusss vom 12. Januar 1967 formuliert (BvR169/63, BVerfGE 21, 73/86).
II. Gemeinwohlorienierte Boden- und Wohnwende – zentrales Thema für Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft
So trist die bodenpolitischen Aussichten derzeit auf Bundesebene sind, so lebendig ist
die Suche nach Strategien und neuen Instrumenten vor Ort, in Städten und
Gemeinden. Als aktuelle Beispiele hier der Hinweis auf zwei Veranstaltungen im November, die von der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht (http://initiativebodenrecht. de/) mit gestaltet werden:
- GRUNDEIGENTUM VERPFLICHTET – Warum wir eine gemeinwohlorientierte
Bodenpolitik brauchen von Franziska Eichstädt-Bohlig
Buchvorstellung und Diskussion am 18.11.2025, 19:00- 20:30 Uhr im Münchner
Zukunftssalon, Goethestr. 28, 80336 MünchenIn Deutschlands Städten bestimmen Spekulation und renditegetriebene Investoren zunehmend, wer wo wohnen und arbeiten kann. Die Folge: explodierende Mieten, steigende Boden- und Immobilienpreise, soziale Spaltung und der Verlust von immer
mehr wertvollen Flächen. Die erfahrene Stadtplanerin und Politikerin Franziska
Eichstädt-Bohlig analysiert in ihrem Buch bodenpolitische Fehlentwicklungen und
macht deutlich: Die Wohnungsfrage kann nur zusammen mit der Bodenfrage gelöst
werden. Eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle Grundeigentumspolitik ist
darum unabdingbar.Mit Stephan Reiß-Schmidt und Christian Stupka von der Münchner Initiative für ein
soziales Bodenrecht diskutiert Franziska Eichstädt-Bohlig machbare
Reformvorschläge für mehr Gerechtigkeit, eine nachhaltige Stadtentwicklung und wie
man Eigentumsrechte mit Gemeinwohl verbinden kann.
Moderation: Bernadette Felsch, Münchner Forum
Anmeldung
- MÜNCHNER WOHNUNGSBAU IN DER FALLE – Auf der Suche nach kreativen
Konzepten und mutigen Entscheidungen
Diskussionsrunde am 26.11.2025, 19:00 – 21:00 Uhr in der Evangelischen
Stadtakademie München, Herzog-Wilhelm-Str. 24, 80331 MünchenIn der Niedrigzinsphase explodierten die Bodenpreise in München. Zudem haben sich
die Baukosten seit 2015 fast verdoppelt. Wer heute zu Marktbedingungen
Mietwohnungen baut und wirtschaftlich betreiben will, muss über 30 Euro Miete pro
Quadratmeter verlangen. Nur eine von hundert jungen Familien, die nicht auf ein
ererbtes Vermögen zugreifen kann, kann sich den Kauf einer Neubauwohnung leisten.
Ab kommenden Jahr droht die öffentliche Wohnbauförderung in München wegen
angespannter Haushaltslage zum Erliegen zu kommen. Wer baut dann noch
Wohnungen? Wer kann sich das Wohnen darin noch leisten?
Welche – auch unkonventionellen – Wege müssen beschritten werden, um aus der Falle zu kommen? Wer bringt den Mut auf, die nötigen Entscheidungen zu treffen?Wir sprechen mit:
Sibylle Stöhr, Stadtratsfraktion GRÜNE
Simone Burger, Stadtratsfraktion SPD
Heike Kainz, Stadtratsfraktion CSU
Stefan Jagel, Stadtratsfraktion DIE LINKE
Jürgen Büllesbach, Geschäftsführer OPES-Immobiliengruppe
Heike Kainz, Sprecher Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht
Moderation: Sebastian Krass, Süddeutsche Zeitung
Am Veranstaltungsort wird auch die Ausstellung „Bezahlbarer Wohnraum in Bayern –
Eine soziale Frage“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern zu sehen sein.
Anmeldung
Auch wenn es manchmal so scheinen mag, als sei die gemeinwohlorientierte Bodenwende nur noch ein Nischenthema: eine andere Bodenpolitik ist aktueller und dringlicher denn je! Dafür sollten wir als Fachleute und Bürger*innen weiterhin mit guten Argumenten werben und Bündnispartner*innen suchen. Das gilt gerade in Zeiten, in denen die Mühen der Transformation von vielen gescheut werden und der politische Mainstream die Zukunft im Rückwärtsgang anteuern will.
In diesem Sinne freue ich mich auf den weiteren Austausch mit Euch/Ihnen und auf den
einen oder anderen kleinen Erfolg. Vielleicht treffen wir uns ja persönlich bei einer der
Veranstaltungen im November in München!
Stephan Reiß-Schmidt, Sprecher der Initiative Bodenrecht,
München, 8. November 2025
