IMMOBILIENMONOPOLY IN MÜNCHEN

Ursachen, Folgen und Lösungsansätze der Immobilienkrise
– Podiumsgespräch in der Evangelischen Stadtakademie
am 25. April 2024

Ob Benko-Pleite oder Sendlinger Loch: Nicht wenige Bauträger haben sich mit ihren
Projekten in München in der Hoffnung auf ein Andauern der Niedrigzinsphase und weiter
steigenden Immobilienpreisen kräftig verspekuliert. Weitere Insolvenzen sind zu erwarten,
hässliche Lücken im Stadtbild und Stillstand im Wohnungsbau sind bittere Folgen für die
Stadtgesellschaft.

Droht jetzt bei wichtigen Bauprojekten in der Stadt jahrelanger Stillstand? Was sind die tieferen Ursachen dieser Krise bei Wohn- und Büroimmobilien und wie lässt sie sich auflösen? Was kann die Stadtpolitik dabei bewirken, wo braucht es andere Rahmenbedingungen – beispielsweise im Umgang mit Bodenspekulation?

Verspekuliert? Das „Sendlinger Loch“ an der Alramstraße, eine der Investitionsbrachen in München nach der Zinswende. Der Bauträger M-Concept plant hier unter dem Claim 14 ALRAM 128 Eigentumswohnungen und Einzelhandelsflächen im EG.        Foto: Christian Stupka

Keine Patentlösung in Sicht – Ansatzpunkte auf allen Ebenen
Eine Patentlösung für die komplexe Baukrise ist nicht in Sicht. Bessere und vor allem
verlässliche Rahmenbedingungen braucht es dazu jedenfalls in verschiedenen Bereichen – und dabei sind alle politischen Ebenen gefordert, ihren Teil beizutragen. Das gilt für den
Verzicht auf überzogene Komfortstandards etwa bei Schallschutz, Haustechnik,
Barrierefreiheit oder Stellplätzen ebenso wie für den Mut zur rascheren Entscheidung von
(bei steigender Dichte zunehmenden) Zielkonflikten in der Verwaltung wie im Stadtrat. Ein
Dreh- und Angelpunkt bleibt ein stärker dem Gemeinwohl verpflichteter Umgang mit dem
unvermehrbaren Boden, etwa durch aktive kommunale Bodenpolitik und eine faire
Besteuerung von Immobiliengewinnen. Nicht zuletzt braucht es zur Überwindung des
Stillstands im bezahlbaren Wohnungsbau eine neue Vertrauenskultur zwischen den am
Planen und Bauen Beteiligten, so Christian Stupka (Genossenschaftliche Immobilienagentur München): „Ein beträchtlicher Teil der detaillierten Regelungen eines Bebauungsplans sind Ausdruck des Misstrauens selbst gegenüber nicht profitorientierten Bauträgern wie Genossenschaften!“

So lautet knapp zusammengefasst das weitgehend einhellige Ergebnis des gut besuchten, von Sebastian Krass (Süddeutsche Zeitung) moderierten Podiumsgesprächs der Evangelischen Stadtakademie und der Initiative für ein soziales Bodenrecht am 25. April 2024 mit Anna Hanusch (Planungssprecherin Stadtratsfraktion Die Grünen – Rosa Liste), Simone Burger (Planungssprecherin Stadtratsfraktion SPD/VOLT), Heike Kainz
(Planungssprecherin Stadtratsfraktion CSU), Melanie Hammer (Geschäftsführerin BHB
Unternehmensgruppe), Christian Stupka und Stephan Reiß-Schmidt (Initiative für ein soziales Bodenrecht). Die Friedrich-Ebert-Stiftung und der Deutsche Gewerkschaftsbund Bayern steuerten dazu ihre sehr instruktive Ausstellung „Bezahlbarer Wohnraum in Bayern – eine soziale Frage“ bei.

Bodenspekulation, Zinswende und steigende Baupreise
Wesentliche Ursachen für die immer noch sinkenden Fertigstellungsraten sind – so Christian Stupka in seiner Einführung – der seit 2010 aus den Fugen geratene Bodenmarkt, die vor allem seit 2021 deutlich gestiegenen Baupreise und die Zinswende mit einer Verdopplung der Hypothekenzinsen. In München sind seit 2010 die Baulandpreise für Geschosswohnungsbau um mehr als 450 Prozent gestiegen, die Baukosten um 64 Prozent, die Nettoeinkommen jedoch lediglich um 28 Prozent. Die nach der Weltfinanzkrise 2008 bei bis in den Negativbereich sinkenden Zinsen einsetzende, lange anhaltenden Immobilienrallye mit ihren spekulativen Überhitzungen wird durch die Zinswende 2022 abrupt ausgebremst.

Quelle: Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Bereich der LH München (2024): Der Immobilienmarkt in München. Frühjahrsticker 2024, S. 5.

Gegenüber 2010 verdreifachte Kaufpreise für Eigentumswohnungen von zuletzt im
Durchschnitt rund 12.000 Euro/m² und Neuvermietungsmieten von 20 Euro/m² und mehr
überfordern auch Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen, wie das Beispiel des
„Sendlinger Lochs“ zeigt. Mehrere Eigentümerwechsel während des Immobilienbooms
hatten hier zu einem Bodenwert von zuletzt 73 Mio. Euro geführt. Umgelegt auf den
Quadratmeter Wohnfläche sind dies etwa 7.000 Euro. Das ergibt zusammen mit den
gestiegenen Baupreisen Gestehungskosten für eine Wohnung mit 80 m² von etwa 1,1 Mio. Euro und mit Gewinnmarge einen Verkaufspreis von etwa 1,3 Mio. Euro. Mit 30 Prozent Eigenkapital und bei einer Annuität von 6 Prozent führt das zu einer monatlichen Belastung von 57 Euro/m² allein für Zins und Tilgung. Ohne Förderung ist heute eine Kostenmiete von nicht mehr als 20 Euro je m² nur erreichbar, wenn der Bodenwert mit Null angesetzt wird.

Weitere Ursachen für den Stillstand im Wohnungsbau sieht Stupka in der mangelnden
Verlässlichkeit von Förderkonditionen, z.B. bei den für viele genossenschaftliche
Bauvorhaben essentiellen KfW-Darlehen für klimafreundlichen Neubau (KNF). Hinzu
kommen langwierige Bebauungsplanverfahren mit immer mehr Gutachten und
Entscheidungsschleifen durch die zahlreichen beteiligten Referate sowie kostentreibende,
zum Teil fragwürdige Standards.

Risiken und Nebenwirkungen des Immobilienbooms
„Toxische Geschäftsmodelle“ einiger Akteure, die damit nicht nur eigene Investitionen, sondern auch eine sozial ausgewogene Stadtentwicklung und Wohnraumversorgung aufs
Spiel setzen, führen zu gravierenden Risiken für die Allgemeinheit, meint Stephan Reiß-
Schmidt und verweist auf die Dimension des Immobilienmarktes. Mit rund 357 Mrd. Euro
Umsatz im Spitzenjahr 2021 liegt er über dem Maschinenbau (269 Mrd. Euro) und nur 30% hinter der Automobilindustrie (506 Mrd. Euro). In der Niedrigzinsphase ab 2008 ist ein immer größerer Geldstrom von Finanzanlegern in Immobilienfonds oder Immobilienaktien geflossen. 2021 waren es rund 111 Mrd. Euro, das heißt ca. 30% des gesamten Immobilienumsatzes. Die Attraktivität von Immobilienanlagen liegt an drei Besonderheiten des Bodenmarktes: erstens an der Aussicht auf leistungslose Gewinne, da planungs- bzw. infrastrukturbedingte Wertsteigerungen nicht zugunsten der Allgemeinheit abgeschöpft werden; zweitens an einer deutlichen steuerlichen Privilegierung von Immobiliengewinnen im Vergleich zu anderen Vermögensarten und drittens an der Intransparenz des Immobilienmarktes, die Geldwäsche und Steuervermeidung erleichtert. Es lohnt sich aus der Sicht von Finanzanlegern durchaus, ein Grundstück ohne ins Bauen zu investieren mit einer erheblichen Gewinnmarge weiter zu verkaufen oder – wie es Benko bei manchen Galeria Kaufhäusern praktiziert hat – durch Mietsteigerungen den Wert der Immobilie und damit den Beleihungsspielraum für weitere Projekte zu erhöhen. Der Stadt stehen gegen solche Geschäftsmodelle nur unzureichende Instrumente zur Verfügung. So ist sie bei der Ausübung des Vorkaufsrechts an den (nicht selten spekulationsbeeinflussten) Verkehrswert gebunden. Die strengen gesetzlichen Voraussetzungen für das besondere Städtebaurecht
(Städtebauliche Sanierungs- bzw. Entwicklungsmaßnahmen) mit einer Genehmigungspflicht für den Grundstücksverkehr und einer Deckelung der Bodenpreise liegen in vielen Fällen nicht vor.

Die Stadt hat nur wenig direkten Einfluss auf die Immobilienkrise, so die einhellige Einschätzung der Stadträtinnen auf dem Podium. Auch sorgfältig erarbeitete städtebauliche Verträge mit Bauverpflichtungen und Konventionalstrafen zur Risikovermeidung laufen ins Leere, wenn ein Investor insolvent wird, stellt Anna Hanusch fest. Vorbeugendes Handeln wäre in einigen Fällen aber durchaus möglich gewesen, etwa wenn der Freistaat als Eigentümer der Alten Akademie selbst bzw. in Kooperation mit anderen öffentlichen Stellen eine kulturelle Nutzung realisiert hätte, statt einen in erster Linie am Gewinn orientierten Immobilienentwickler ins Boot zu holen, so Simone Burger. Anzeichen dafür, dass es hier und bei anderen brachliegenden Projekten in der nach wie vor attraktiven Münchner Innenstadt mit anderen Akteuren weitergehen kann, sieht Heike Kainz. Manche Projekte seien wohl auch durch langwierige Planungs- oder Genehmigungsverfahren in die Zinsfalle geraten. Aus der Sicht eines Immobilienunternehmens erläutert Melanie Hammer unterschiedliche Einschätzungen innerhalb der Branche. Manche zu optimistische Hypothesen sind durch die Zinswende überholt. Ihr Konzept sei eher die Suche nach Nischen und ein möglichst früher Einstieg in die Baurechtsentwicklung.

Gebäudetyp-e und schlankere B-Plan-Verfahren
Eine Überwindung des Baustillstands setzt ein abgestimmtes Handeln von Bund, Freistaat
und Kommunen voraus. Stupka verweist als Beispiel auf den von der Bayerischen
Architektenkammer vorgeschlagenen und jetzt bundesweit diskutierten Gebäudetyp-e mit in einigen Bereichen reduzierten Standards. Eine Erhöhung der Fördermittel für bezahlbaren Wohnungsbau könne durch die Besteuerung bzw. Abschöpfung leistungsloser Bodenwertgewinne finanziert werden – nach dem Vorbild des über einhundert Jahre konsequent betriebenen Wiener Gemeindewohnungsbaus, der nur durch eine besondere Steuer auf Immobilienerträge (sog. Hauszinssteuer) möglich war.
Standardreduzierungen in nicht sicherheitsrelevanten Bereichen sind auch für Hammer
kostenrelevant, etwa eine Reduzierung der Ansprüche an den Schallschutz und damit der
Stärke von Geschossdecken. Allerdings stellt die Abweichung auch von nicht gesetzlich
verbindlichen DIN-Normen für Bauträger ein haftungsrechtliches Risiko dar, solange das
Werkvertragsrecht des BGB nicht entsprechend angepasst ist. Ihr Unternehmen beteiligt sich an den Pilotprojekten des Freistaats zum Gebäudetyp-e mit einem Objekt in Gauting, das im Bestand gehalten und vermietet werden soll. Bei manchen kostentreibenden Anforderungen an Bebauungspläne braucht die Stadt laut Hanusch mehr rechtlichen Gestaltungsspielraum, etwa indem eine vorgesehene Tempo-30-Regelung für eine Sammelstraße schon bei der Lärmberechnung für den B-Plan zugrunde gelegt werden darf. Und bei Maßnahmen im Bestand ist ein erweiterter Bestandsschutz hilfreich, um eine kostenträchtige Nachrüstung auf aktuelle Standards zu vermeiden.

Die Größe und Dichte der Stadt und die damit verbundene Komplexität sind für Kainz einer der Gründe von langen Planungsverfahren. Kleine Städte haben es hier bisweilen leichter, auch wegen kürzerer Entscheidungswege und flacherer Hierarchien. Projektgruppen mit entscheidungsbefugten Vertreter*innen der Fachreferate könnten hier nach Stupkas Erfahrungen helfen. Nicht jeder Zielkonflikt zwischen Referaten müsse bis zum Oberbürgermeister eskaliert werden, so Burger. Vor 20 Jahren wurde der sehr komplexe Bebauungsplan für die Allianz Arena in Rekordzeit erstellten, erinnert Reiß-Schmidt. Hier war der Planungsprozess als Projekt gut organisiert und die Motivation aller Beteiligten hoch.

Nachbemerkung: Boden ist der Schlüssel!
Vor allem der Bund bleibt im Obligo, den Kommunen endlich mehr Handlungsspielräume für eine aktive und gemeinwohlorientierte Bodenpolitik zu schaffen, wie sie das von zahlreichen Kammern, Akademien und Verbänden getragene Bündnis Bodenwende fordert. Dazu gehören etwa ein erweitertes kommunales Vorkaufsrecht zu einem sozial verträglichen Ertragswert, der bezahlbares Wohnen ermöglicht; eine Abschöpfung leistungsloser Bodenwertgewinne durch den schon lange diskutiertet Planungswertausgleich; eine Verknüpfung von Baurecht und Bauverpflichtung, um die spekulatives Horten von Grundstücken zu erschweren sowie mehr Transparenz des Bodenmarktes z.B. durch ein Register der wirtschaftlich Berechtigten und ein öffentliches Grundbuch. Eine wirksame Bremse gegen riskante Geschäftsmodelle und Bodenspekulation ist schließlich eine faire Besteuerung von Immobilien. Die Steuermehreinnahmen werden vor allem für eine sozial- und klimagerechte Boden- und Wohnungspolitik dringend gebraucht.

Viele dieser Forderungen finden sich übrigens in den Wahlprogrammen von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur letzten Bundestagswahl. Leider blieb im Koalitionsvertrag der Ampel fast nichts davon übrig. Was liegt angesichts der Immobilien- und Wohnungsbaukrise näher, als dass auch einflussreiche Kommunalpolitiker*innen der beiden größten Regierungsparteien mit Nachdruck zumindest den Einstieg in eine gemeinwohlorientierte Bodenwende einfordern?

Stephan Reiß-Schmidt

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