Aufruf für eine andere Bodenpolitik – 2017

FÜR BEZAHLBAREN WOHNRAUM
UND LEBENSWERTE STÄDTE

Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik

Das beschleunigte Wachstum Münchens und vieler anderer Stadtregionen in
Deutschland führt zur dramatischen Verknappung und Verteuerung von Wohnraum
und Bauland. Die Bodenspekulation wird dadurch weiter angeheizt. Städtische
Immobilienmärkte sind zum Tummelplatz nationaler und internationaler
Investoren jeder Couleur geworden. In München haben sich die Bodenpreise für
den Wohnungsbau in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Eigentumswohnungen
sind für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung unerschwinglich geworden,
ein wachsender Teil der Haushalte kann sich am freien Markt auch nicht mehr
mit bezahlbaren Mietwohnungen versorgen. Leistungslose, also nicht auf eigenen
Anstrengungen beruhende Gewinne aus Grundstücks- und Immobiliengeschäften
werden hingegen weiterhin von einer kleinen Minderheit privatisiert.

Bayerische Verfassung, Art 161
[…] (2) Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen 
Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, 
sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

Der entfesselte Bodenmarkt entfaltet eine zersetzende Wirkung auf den sozialen
Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Ganze Stadtteile (und zunehmend
auch Umlandgemeinden) unterliegen der „Aufwertung“, die Verdrängungsprozesse
der angestammten Wohnbevölkerung und des kleinteiligen Gewerbes zur
Folge haben. Die sozialen Folgekosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt.
So reduzieren renditegetriebene Investoren ständig das Angebot an bezahlbaren Wohnungen und verstärken damit zugleich den Druck auf die Kommunen,
mit Steuergeldern preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Denn die davongaloppierenden
Mieten zwingen immer mehr Menschen, Wohngeld zu beantragen
oder sich um eine öffentlich geförderte Wohnung zu bewerben. Angesichts
des Wachstums der Städte mit all seinen Facetten und Herausforderungen wird
die Bodenpolitik zum Dreh- und Angelpunkt einer sozial gerechten und nachhaltigen
Stadtentwicklung.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 14
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gew hrleistet.
Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem
Wohle der Allgemeinheit dienen. […]

Der Boden ist kein Gut wie jedes andere. Vergleichbar Wasser und Luft ist er unverzichtbar für das menschliche Dasein. Boden ist zugleich unvermehrbar.
Daher verbietet es sich, Boden dem freien Marktgeschehen zu überlassen.
Unsere Verfassung betont die Gemeinwohlbindung des Eigentums. Beim Boden ist dem in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Art 14 GG vom 12.1.1967
[…] Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und
unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren
Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig
zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung
zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in
weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen
Verm gensgütern. (…) Das Gebot sozial gerechter Nutzung ist
aber nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des
Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den
Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl
der Allgemeinheit zu beachten. Es liegt hierin die Absage an
eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den
unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat. […]

Eine wichtige gestaltende Rolle kommt dabei vor allem den Kommunen zu. Sie
sollen ermutigt und finanziell in die Lage versetzt werden, eine aktive, am Gemeinwohl
orientierte Bodenpolitik zu betreiben. Um für künftige Aufgaben der
Daseinsvorsorge (geförderter Wohnungsbau, soziale und technische Infrastruktur)
gerüstet zu sein, sollten sie ihren Grundbesitz halten und durch eine kluge
Bodenvorratspolitik vermehren können, statt ihr Tafelsilber zur Haushaltssanierung
zu verkaufen. Aber auch die Länder und der Bund müssen ihre für eigene
Zwecke nicht mehr ben tigten Grundstücke gemeinwohlorientiert einsetzen,
statt sie gegen Höchstgebot wirtschaftlich zu verwerten. Öffentlicher Grundbesitz
sollte dauerhaft im  ffentlichen Eigentum bleiben und Dritten vorrangig im
Erbbaurecht befristet zur Nutzung überlassen werden.

Wenn Baurecht auf privatem Grund geschaffen und damit der Bodenwert deutlich
gesteigert wird, hat sich der Grundeigentümer oder Käufer im Sinne einer
sozialgerechten Bodennutzung an der Herstellung der öffentlichen Infrastruktur
und der Errichtung dauerhaft bezahlbarer Wohnungen zu beteiligen.
Ein Umdenken ist auch bei der Besteuerung des Bodens angezeigt. Erträge
aus Bodenwertsteigerungen werden gegenwärtig überhaupt nicht oder nur in
geringem Umfang besteuert. Bodenwertsteigerungen beruhen aber überwiegend
nicht auf Leistungen des Grundeigentümers sondern auf Leistungen der
Allgemeinheit, vor allem durch die Schaffung von Baurecht und öffentlicher
Infrastruktur, oder auf Investitionen Dritter, durch die das Umfeld aufgewertet
wird. Eine Reform der Bodenbesteuerung soll daher vor allem bewirken, dass
leistungslose Steigerungen des Bodenwerts abgeschöpft und für Aufgaben der
kommunalen und regionalen Daseinsvorsorge zur Verfügung gestellt werden.
Dabei geht es nicht um das zum eigenen Wohnen oder Erwerb dienende, kleinteilige
Boden- und Immobilieneigentum breiter Schichten der Bevölkerung,
sondern um Immobilienverm gen, die gewerbsmä ig betrieben und gehandelt
werden und vor allem auf die Erzielung von Maximalrenditen aus Bodenwertsteigerungen
abzielen.

Unsere Initiative

Die Initiative „Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik“ entstand Anfang 2017 in München, letztlich veranlasst durch die explodierenden Bodenpreise und die daraus resultierenden sozialen Verwerfungen in unserer Stadt. Im Mai 2017 haben wir die Fachveranstaltung „Ein neues Bodenrecht für bezahlbaren Wohnraum“ ausgerichtet. Die positive Resonanz hat uns ermuntert, weiter an der längst überfälligen Reform des Bodenrechts zu arbeiten. Unsere Initiative ist offen für Mitarbeit und Unterstützung durch Einzelpersonen und Organisationen, die für ein gemeinwohlorientiertes Bodenrecht als Basis einer nachhaltigen und sozial gerechten Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik wirken wollen. Parteipolitische Unabhängigkeit ist uns dabei wichtig. Mit anderen Initiativen, die sich gerade in jüngster Zeit zum Bodenrecht gebildet haben, wollen wir uns
austauschen und zusammenarbeiten. Dies sind die Initiatoren.

Dass diese Initiative 2017 von München ausgeht, ist kein Zufall: Stadtgesellschaft,
Stadtrat und Oberbürgermeister unserer Stadt haben in den letzten
Jahrzehnten immer wieder die Bodenpolitik als Basis einer sozial gerechten
Stadtentwicklung thematisiert und entsprechende Initiativen ergriffen.

Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel hatte als Bundesbauminister 
schon 1974 einen Entwurf zur Novellierung des Bundesbaugesetzes 
vorgelegt, der auch eine Planungsgewinnabgabe vorsah. 
Nach intensiven Debatten wurde die Bundesbaugesetz-Novelle mit
der sozial-liberalen Mehrheit 1976 zwar vom Bundestag beschlossen,
aber der Planungswertausgleich (trotz einer Reduzierung auf 50%) 
schließlich im Bundesrat von der Oppositionsmehrheit abgelehnt.

Was wir voranbringen wollen
Die gesellschaftliche Debatte um das Bodenrecht lag in Deutschland über 40
Jahre lang brach. Daher besteht erheblicher Diskussions- und Verständigungsbedarf
über konkrete Ziele und wirkungsvolle Maßnahmen zu deren Erreichung.
Wir sind uns in der Richtung einig, in der Diskussion um erfolgversprechende
Instrumente und politische Schritte angesichts der komplexen Materie ergebnisoffen.

Belebung der  öffentlichen Diskussion
Wir wollen dazu beitragen, dass die für eine nachhaltige Stadtentwicklung
entscheidende Bodenfrage in den Medien und in der öffentlichen Diskussion
einen vergleichbaren Stellenwert einnimmt wie die Diskussion um das Wasser
und die Luft als öffentliche Güter. Insbesondere wollen wir in der Öffentlichkeit
die Zusammenhänge zwischen Bodenrecht und Stadtentwicklung / Regionalentwicklung
sowie zu den Herausforderungen des Klimawandels verdeutlichen.
Flächen-, mobilitäts- und energiesparsame, kompakte Stadtstrukturen lassen
sich ohne ein dem Gemeinwohl Vorrang einräumendes Bodenrecht nicht
umsetzen.Wir wollen auch die historisch gewachsenen Haltungen zum Privateigentum
an Grund und Boden hinterfragen, die anderswo und auch in der eigenen Geschichte zu unterschiedlichen Lösungsmodellen für den Zielkonflikt zwischen Nutzern und Eigentümern des Bodens und zwischen den Ansprüchen des Einzelnen und der Allgemeinheit geführt haben.

Beteiligung an Fachdiskussionen und Expertise
Das Bodenrecht in seiner Vielfalt ist mit mehreren Rechtsgebieten verzahnt,
insbesondere mit dem Verfassungsrecht, dem Bauplanungsrecht und dem
Steuerrecht, aber auch mit dem  ffentlichen Haushaltsrecht. Unter Beteiligung
von Mitgliedern der Initiative in Expertengruppen wurden jüngst vom Deutschen
Städtetag sowie von Forschungsinstituten und Verb nden wie Difu und
vhw Konzepte für eine Erweiterung des bodenpolitischen Instrumentariums
entwickelt, die den Kommunen mehr Zugriff auf den Boden ermöglichen.

http://www.staedtetag.de/publikationen/materialien/083226/index.html

https://difu.de/publikationen/2017/bodenpolitische-agenda-2020-2030.html

Die von der Stiftung trias initiierte „Schwerter Erklärung: Eigentum verpflichtet
– mehr Boden für das Gemeinwohl“ vom März 2017 und das „Netzwerk
Immovielien“ sind bundesweite Initiativen für eine Reform der Bodenpolitik, mit denen wir vernetzt sind.

https://www.stiftung-trias.de/home/

http://www.netzwerk-immovielien.de

Bereits in der Amtszeit von Oberbürgermeister Georg Kronawitter 
hat das Planungsreferat unter Stadtbaurätin Christiane Thalgott 
ausgelotet, welche Chancen das neue Instrument des städtebaulichen 
Vertrags bietet. 
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat Oberbürgermeister Christian 
Ude die Stadtverwaltung beauftragt, ein entsprechendes Regelwerk 
vorzuschlagen. Nach intensivem Dialog mit der Bau- und 
Immobilienwirtschaft wurde 1994 die „Sozialgerechte Bodennutzung“ 
(SoBoN) beschlossen, die die Schaffung neuen Baurechts vertraglich 
davon abhängig macht, dass die Planungsbegünstigten mit bis zu zwei 
Dritteln der planungsbedingten Wertsteigerung die ursächlichen 
Kosten für Planung, soziale Infrastruktur,  öffentliche Grünflächen 
und geförderten Wohnungsbau mitfinanzieren. Damit hat München 
bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen.

Vernetzung der Akteure
Wir wollen zur Vernetzung und Abstimmung der Akteure beitragen, für die
Änderungen des Bodenrechts in ihrem Wirkungskreis erhebliche Bedeutung
haben. Impulse dazu müssen weit über München hinaus in erster Linie von
Kommunalpolitik und Verwaltungen in wachsenden Großstädten und Stadtregionen
ausgehen. Für die erste Jahreshälfte 2018 ist deshalb von uns ein bundesweiter Kommunalworkshop zum Erfahrungsaustausch und zur Konkretisierung
der wesentlichen Forderungen zu einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik aus kommunaler Perspektive geplant.

Dialog mit den politischen Parteien
Reformen des Bodenrechts erfordern Gesetzesinitiativen und entsprechende
Mehrheiten im Bundestag. In den aktuellen Programmen der im Bundestag
vertretenen Parteien finden sich so gut wie keine  Überlegungen oder Forderungen
zur Reform des Bodenrechts. Wir suchen den Dialog mit Parteigremien
und Mandatsträgern, um unseren  berlegungen Gehör zu verschaffen und die
Mehrheitsf higkeit konkreter Reformvorschläge auszuloten.

Weitere Informationen zu unserer Initiative
Wenn Sie über die Aktivit ten unserer Initiative auf dem Laufenden gehalten
werden wollen, senden Sie bitte eine Nachricht mit Ihrer Mailadresse an:

info@initiative-bodenrecht.de